Fehlen der Soll-Angaben bei der Massenentlassungsanzeige
2. September 2022Begründung zum „Arbeitszeit-Beschluss“ veröffentlicht
5. Dezember 2022Mit Beschluss vom 13.09.2022 hat das BAG Rechtsklarheit geschaffen: Es besteht schon jetzt die Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitszeiten vollständig zu erfassen.
Bereits seit 2019 steht fest, dass die Arbeitgeber nach Europäischem Recht verpflichtet sind, objektive verlässliche Systeme zur Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Mit dem „Stechuhr Urteil“ (14.05.2019, C-55/18) hat der EuGH betont, dass durch eine systematische Zeiterfassung der geleisteten Arbeit (Anfang/Ende/Pausen), die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit und zu Ruhepausen zu überprüfen und damit die Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers gemäß EU-Arbeitszeitrichtlinie zu gewährleisten sind. Nach bisherigen Verständnis stand dies – mit Ausnahm der Beschäftigungen in Branchen des § 17 MiloG – im Widerspruch zu den Regelungen im deutschen Recht. Denn § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbzG verpflichtet den Arbeitgeber lediglich zur Erfassung der werktäglich 8 Stunden überschreitenden Arbeitszeit.
Literatur und Rechtsprechung erwarteten daher seit 2019 die europarechtskonforme Ergänzung deutscher Arbeitsschutzvorschriften durch den Gesetzgeber. EU-Richtlinien richten sich nämlich zunächst nur an die Mitgliedstaaten. Dies hat zur Folge, dass im Grundsatz zunächst der nationalen Gesetzgeber tätig werden muss, um die Arbeitgeber entsprechend zu verpflichten. Aufgrund der erheblichen, auch politischen Relevanz, verzögerte sich die Umsetzung des EU Urteils durch den Gesetzgeber jedoch bis heute.
Mit seinem aktuellen Beschluss vom 13.09.2022 sorgte das BAG als höchstes deutsches Arbeitsgericht nun für eine Überraschung. Danach besteht bereits jetzt die Verpflichtung des Arbeitgebers, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Er begründet dies mit einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG.
Das Urteil wird voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Mitspracherechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Zeiterfassung, die Abgeltung von Überstunden und die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice, die bisher eine vertraglich im Wesentlichen selbstbestimmte Arbeitszeiteinteilung ermöglicht, haben.
Die unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung ist damit geklärt. Unternehmen müssen die Arbeitszeiten zukünftig vollständig erfassen und hierfür Lösungen entwickeln. Im Ergebnis wird dies insbesondere bei Überstunden intensiven Branchen zu steigenden Kosten und mehr Aufwand führen.
Die konkreten Auswirkungen des Urteils auf das „wie“ der Arbeitszeiterfassung sind noch nicht abzusehen. Die ausführliche und schriftliche Begründung des Urteils seitens des BAG wird erst in einigen Wochen erwartet. Hier ist insbesondere der Gesetzgeber gefragt zeitnah den bestehenden Gestaltungsspielraum zu nutzen und einen verlässlichen und flexiblen Rahmen für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung, zB. durch Delegation der Zeiterfassung an den Arbeitnehmer und die Verwendung Apps anzubieten und keine neuen bürokratischen Hürden zu erschaffen.