Keine Nachgewährung von Urlaubstagen bei Quarantäne
14. März 2022Arbeitsrecht für Vereinsverantwortliche
24. Mai 2022BAG: Der Arbeitnehmer muss weiterhin Überstunden nachweisen!
Regelmäßig streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers über die Vergütung geleisteter Überstunden. Hinter diesen Prozessen steht die Frage: Hat der Arbeitgeber das vertraglich vereinbarte Gleichgewicht zwischen Lohn und Arbeitszeit einseitig zu seinen Gunsten verschoben (dann Abgeltung der Überstunden) oder will der Arbeitnehmer sein Gehalt nachträglich durch nicht veranlasste Mehrarbeit aufbessern (in diesem Fall keine Abgeltung der Überstunden)? Für den Ausgang des Rechtsstreits kommt in der Praxis der Frage der Darlegungs- und Beweislast eine große Bedeutung zu. Konkret: Wer muss den Nachweis über die geleisteten Überstunden im Rechtsstreit führen?
Nach der bisherigen (und aktuellen) Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer im Rechtsstreit darzulegen und nachzuweisen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten konkret er über die vertragliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat, welche Arbeiten er in dieser Zeit ausgeführt hat und ob die Ableistung der Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder zumindest zur Erledigung der konkreten Aufgabe notwendig gewesen sei. Die Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsort allein rechtfertigt nicht die Vermutung, die Überstunden seien betrieblich notwendig gewesen. Der Beweis ist in der geforderten Konkretheit rückwirkend für längere Zeiträume praktisch nur noch schwer zu führen.
Die arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung wurde durch das sog. „Stechuhr-Urteil“ des EuGH aus dem Jahr 2019 (Urteil vom 14.05.2019, Az: C-55-18) in Frage gestellt. Der gemäß der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88 /EG) für Fragen des Arbeitsschutzrechts kompetente EuGH hatte damals entschieden, dass zum Zwecke des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit des Arbeitnehmers die tatsächlich geleistete Arbeitszeit vom Arbeitgeber vollständig erfasst und dokumentiert werden müsse. Nach aktueller deutscher Gesetzgebung sind Arbeitgeber gem. § 16 Abs. 2 ArbzG – von wenigen Ausnahmen abgesehen – lediglich dazu verpflichtet, die über die zulässige werktägliche Höchstarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Seither war fraglich, ob die EuGH Rechtsprechung zum Arbeitsschutz im Falle der nicht vollständigen Zeiterfassung im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit (Delegation der Arbeitszeitfestlegung und -erfassung an den Arbeitnehmer) unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zumindest mittelbar zu einer Beweislastumkehr zu Gunsten des Arbeitnehmers im Überstundenprozess führen könne.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt nun mit Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21 klar, dass sich das EuGH Urteil allein auf die Frage der Überschreitung von Höchstarbeitszeiten und den damit verbundenen gesundheitlichen Schutz des Arbeitnehmers beschränkt. Der EuGH sei für die hier maßgeblichen möglichen Lohnansprüche gem. Art. 153 Abs. 5 AEUV rechtlich nicht zuständig. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Aufzeichnungspflichten des Arbeitgebers habe daher für die hier maßgebliche Frage der Lohnansprüche durch Überstunden und die damit verbundenen Fragen der Beweislast weder unmittelbare, noch mittelbare Auswirkungen.
Im konkreten Fall hatte ein Auslieferungsfahrer ohne nähere Beschreibung des konkreten Arbeitsumfangs 429 Überstunden anhand der erfassten Anfangs- und Endzeiten seiner Tätigkeit geltend gemacht. Konkrete Aussagen zur ausdrücklichen oder schlüssigen Anordnung, Duldung oder Billigung der Arbeitszeiten und die vom Auslieferungsfahrer behauptete Notwendigkeit ohne Pausenzeiten durcharbeiten zu müssen, fehlten. Der Auslieferungsfahrer ist damit laut BAG seiner Darlegungs- und Beweislast nicht im ausreichenden Maße nachgekommen. Es bestand folglich kein Anspruch auf Überstundenausgleich.
Das klarstellende Urteil dürfte auf Arbeitgeberseite erleichtert aufgenommen werden. Einer möglichen Klagewelle zur nachträglichen Abgeltung von Urlaubsansprüchen ist damit die Grundlage entzogen.